Ihren letzten Zug auf dem „Schachfeld“ Schule tat Ursula Lembach am 12. November: Die Lehrerin und begeisterte Schachspielerin ging gesundheitlich bedingt vorzeitig in den Ruhestand. Im Rahmen einer Feier in der Martin-von-Tours-Schule verabschiedete sie sich von ihrem Kollegium, ihrer Klasse und vielen Menschen, mit denen sie in den letzten 22 Jahren in Neustadt zusammengearbeitet hatte. Unter den Gästen befanden sich auch der Neustädter Bürgermeister Thomas Groll sowie etliche ehemalige Lehrkräfte. Leicht fiel der rührigen 59-Jährigen der Abschied nicht: „Ich habe immer sehr gerne an unserer Gesamtschule gearbeitet und mich im Kreis der Kollegen gut aufgehoben gefühlt“, versicherte sie.

Sowohl die Fachschafts-Sprecher als auch der Personalrat, der Lehrerchor, die Schüler und das Kollegium verabschiedeten sich herzlich mit Blumen und Geschenken sowie einem Programm aus selbstgedichteten Liedern, Tänzen und Reden. Auch Ursula Lembachs ehemalige Klasse 8B trug mit Musikeinlagen und Unterstützung bei der Bewirtung zu einer gelungenen Feier bei, die mit einem üppigen Buffet ausklang.

Im Zentrum der Verabschiedung stand jedoch zunächst die Rede von Schulleiter Volker Schmidt. „Frau Lembach hat die Entwicklung und das Gesicht unserer Schule bedeutend mitgeprägt“, erklärte der Direktor, bevor er der Frischpensionierten die Entlassungsurkunde überreichte. In seiner Verabschiedungsrede zeigte er wichtige Stationen in Ursula Lembachs Lebenslauf auf, durch den sich die Liebe zum Unterrichten wie ein roter Faden zog: Die Flörsheimer Lehrertochter besuchte nach der Grundschule das Max-Planck-Gymnasium in Rüsselsheim und erteilte schon während ihrer Schulzeit begeistert Akkordeonunterricht. Nach ihrem Abitur 1978 studierte sie an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt die Fächer Mathematik, Religion sowie später noch Musik auf Lehramt (Sekundarstufe I) und  bestand ihre 1. Staatsprüfung mit hervorragenden Leistungen. Auch die 2. Staatsprüfung nach ihrem Referendariat in Hofheim schloss sie „mit Auszeichnung“ ab, bevor sie heiratete und sich in Emsdorf zunächst ihrer Familie und ihren beiden Söhnen widmete.

Nach ihrer Ernennung zur Beamtin 1992 kam sie vier Jahre später an die Neustädter Gesamtschule und war schnell nicht mehr aus dem Kollegium wegzudenken: Mit dem für sie typischen Temperament und Tatendrang brachte sie sich von der ersten Stunde an sowohl in ihren drei Fachbereichen als auch als Klassenlehrerin und in der Entwicklung der Schule zur integrierten Gesamtschule ein. Sie organisierte die Erntedankwoche und das Sozialpraktikum, verwaltete die Schulbücher, begeisterte auch mathemüde Schüler mit Aktionen wie der „Mathenacht“ für Zahlen und gewann durch ihren Einsatz neue Schul-Laptops im Wert von 10.000 Euro. Ihre Trommelgruppe wurde schnell zu einem Höhepunkt jedes Schulkonzertes und brachte auch dem größten Zappel-Philipp Rhythmusgefühl bei. Immer wieder suchte sich die Lehrerin neue Ziele und ging diesen leidenschaftlich nach.

Neben ihrem fachlichen Engagement war Ursula Lembach aber vor allem Klassenlehrerin mit Leib und Seele: Obwohl sie selbst ein traditionelles Gymnasium besucht hatte, war sie mit Herzblut Gesamtschullehrerin und kümmerte sich fürsorglich um jedes einzelne Kind und seine Bedürfnisse. Bei der Umsetzung der Inklusion stand sie in erster Reihe und erhielt für ihren Einsatz als Klassenlehrerin des stark sehgeschädigten Schülers Roman das Siegel „Weltklasse Schule“.

Ihr vielleicht größter Zug an der Martin-von-Tours-Schule war aber die Etablierung eines bis dahin weitgehend unbekannten Schulfachs: Schach. Sie gründete eine Schulschach-AG und nahm mit den Mannschaften regelmäßig erfolgreich an überregionalen Turnieren teil. Darüber hinaus bildete sie sich und andere regelmäßig fort und verbreitete das „Schach-Virus“ auch in der Schüler- und Elternschaft, bis der Denksport in einigen Jahrgängen zum Pflichtfach wurde. Ihr Engagement brachte der Schule  das Siegel „Deutsche Schachschule“ sowie ihr selbst die Auszeichnung „Deutsche Schachlehrerin 2017“ ein. So lag es auf der Hand, dass Ursula Lembach ihre Abschiedsrede vor einem großen Schachbrett hielt und Parallelen zwischen Schule und Spiel aufzeigte: „Wir Lehrer sind ein wenig wie die Bauern auf dem Feld“, erklärte sie den überraschten Zuhörern. „Alleine werden wir geschlagen, aber mit einem Schulteam, Freunden und Familie um uns herum sind wir stark.“ Eine weitere Gemeinsamkeit sei, dass Bauern immer vorwärts gehen: „Geht mit der Zeit!“, riet sie allen. Außerdem bringe sich jeder Bauer gewinnbringend mit seinen Stärken ins Spiel ein – so wie sie auch ihr Kollegium als Zusammenspiel vieler unterschiedlicher Charaktere erlebt habe. Zuletzt habe jeder Bauer den Traum, sich in eine Dame zu verwandeln – so wie auch Lehrer Träume haben: „Mein Traum war es, meine Schüler vorwärts zu bringen!“ Nun hat die Pensionärin einen neuen Traum gefunden, den ihre kleine Enkelin verriet: „Wir gehen eine Million Mal auf den Spielplatz.“ Wer aber Ursula Lembach kennt, weiß, dass da bestimmt noch mehr kommt, denn nach der Partie ist bekanntlich vor der Partie.

Nadine Kalbfleisch

Fotos: Nadine Kalbfleisch & Stefan Seibert